Klassenkampf: Die Arbeiter*innen im 21. Jhdt.
Am 4. November 2024 feiert die Sozialistische Jugend Österreich ihren 130. Geburtstag. Gegründet hat sich die Sozialistische Jugend allerdings nicht unter diesem Namen, sondern als “Verein Jugendlicher Arbeiter”. Dieser Name drückte damals bereits eine Verbundenheit zur Arbeiter*innenbewegung aus, in deren Tradition sich unsere Organisation bis heute sieht.
Wenn man nur die aktuelle politische Lage betrachtet, mag das ein überraschendes Erbe sein, das wir damit antreten. In ganz Europa sind mit dem Erstarken des Neoliberalismus traditionelle Arbeiter*innen zunehmend zu rechten Parteien übergelaufen. Bei der letzten Wahl in Österreich hätte die FPÖ unter dieser Beschäftigungsgruppe die absolute Mehrheit nur knapp verpasst. Das liegt nicht daran, dass Arbeiter*innen per se ein konservativeres Weltbild hätten, als der Querschnitt der Bevölkerung. Die politische Linke hat teilweise aufgehört, für die Interessen der arbeitenden Menschen zu kämpfen, und selber neoliberale Wirtschaftspolitik umgesetzt. Gerade in Hinblick auf diesen Rechtsruck, der sich in den letzten Jahrzehnten angebahnt hat, wollen wir uns die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung genauer ansehen.
Die Anfänge des Manchester-Kapitalismus
Anfang des 19. Jahrhunderts führte die industrielle Revolution besonders in der Landwirtschaft dazu, dass viel effizienter produziert werden konnte. Kleinbäuer*innen wurden durch große Agrarbetriebe verdrängt und waren dazu gezwungen, ihr Land zu verkaufen und in Städte zu ziehen. Dort wurden sie als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, um in Manufakturen oder zunehmend in modernen Fabriken zu arbeiten. Diese neue Industriearbeiter*innenschaft hatte zu Beginn keine starke Interessensvertretung und kaum gesetzliche Rechte. Arbeiter*innen mussten teilweise 12 bis 16 Stunden am Tag arbeiten und erhielten dafür Hungerlöhne und keine soziale Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit. In diesem "Manchester-Kapitalismus" bildete sich einerseits die Gewerkschaftsbewegung, die konkret für bessere Arbeitsbedingungen kämpft. Andererseits begannen linke Theoretiker*innen, das neue kapitalistische Wirtschaftssystem in seiner Gesamtheit zu kritisieren.
Einer der umfassendsten Analysen kommt dabei wahrscheinlich vom deutschen Philosophen Karl Marx. Er stellt fest, dass sich in jeder Gesellschaftsform im Wesentlichen zwei Klassen gegenüberstehen. Eine besitzende Klasse, wie zum Beispiel Sklavenhalter*innen, Adelige und Fabrikbesitzer*innen, und eine besitzlose Klasse, wie Sklav*innen, Leibeigene oder Lohnarbeiter*innen. Die Geschichte wurde immer getrieben von Auseinandersetzungen zwischen diesen Klassen. Die Geschichte ist eine Geschichte der Klassenkämpfen. Ein*e Arbeiter*in ist also nicht nur, wer in einer Fabrik arbeitet. Gemeint sind damit alle, die kein riesiges Vermögen besitzen und deswegen gezwungen sind, arbeiten zu gehen, um sich einen Unterhalt zu verdienen. Nach Karl Marx spitzen sich die Widersprüche und Auseinandersetzungen zwischen diesen Klassen zu, bis nur noch die Überwindung des Kapitalismus sie auflösen kann.
Der Begriff Arbeiter*in ist also, anders als aktuelle linke Autor*innen meinen, keine weitere identitätspolitische Kategorie. Er ist notwendig, um zu begreifen, dass die überwiegende Mehrheit der arbeitenden Menschen gemeinsame Interessen hat und zusammenarbeiten muss, um Unterdrückung und Ausbeutung zu überwinden. Nur dieses Klassenbewusstsein macht uns in der Geschichte zum “revolutionären Subjekt”.
Der moderne Sozialstaat
Unter diesen Bedingungen konnte die Gewerkschaftsbewegung schnell riesige Massen an Menschen für den Kampf für eine gerechtere Gesellschaft organisieren. Und das auch mit großen Erfolgen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in ganz Europa große Verbesserungen für arbeitende Menschen erkämpft. Zwischen 1918 und 1920 stimmten in Österreich sogar Konservative aus Angst vor einer Revolution großen sozialen Reformen zu. Zu nennen sind etwa der Acht-Stunden-Arbeitstag oder die Einführung der Arbeitslosenversicherung. Der “Manchester-Kapitalismus” hat sich zum sogenannten “Fordismus” weiterentwickelt.
Auch wenn sich die Lebensrealität der Menschen geändert hat, wurden die Theorien von Karl Marx dadurch nicht weniger aktuell. Sie müssen aber um eine Analyse dieses neuen Wirtschaftssystems ergänzt werden. Während im Manchester-Kapitalismus die maximale Ausbeutung der Arbeitskraft im Vordergrund stand, werden im Fordismus höhere Löhne gezahlt, damit die Beschäftigten auch mehr Geld haben, das sie ausgeben können. Der kapitalistischen Massenproduktion stand ein Massenkonsum gegenüber.
Arbeiter*innen wurden nun zu einem gewissen Ausmaß an der Wertschöpfung des Kapitalismus beteiligt. Viele Menschen konnten sich in der Zeit beispielsweise zum ersten Mal Luxusgüter, wie ein Auto oder einen eigenen Fernseher leisten. In der Gewerkschaftsbewegung gingen nun einige davon aus, dass Unternehmen und Belegschaften nun ein gemeinsames Interesse hätten, einen möglichst großen Gewinn zu erwirtschaften, um den dann gemeinsam aufzuteilen. Das war ein Irrtum. Die grundlegenden Widersprüche im kapitalistischen System blieben bestehen und führten in den 1960er- und 70er-Jahren regelmäßig zu Wirtschaftskrisen.
Die Arbeiterschaft in der Globalisierung
Auch auf diese Wirtschaftskrisen konnte sich der Kapitalismus allerdings anpassen. Anstatt eine immer weiter steigende Massenproduktion an Waren durch hohe Löhne zu finanzieren, wurden etwa neue Absatzmärkte erschlossen. Das Kapital und die Arbeitskraft wurden flexibler und ließen sich immer schwerer durch nationale Grenzen eingrenzen. Der Sozialstaat, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkämpft wurde, baute aber darauf, dass innerhalb eines Nationalstaates durch die Besteuerung von Kapital und hohen Einkommen Umverteilung betrieben wird. Wenn die Produktion aber statt in nationalen Großbetrieben in internationalen Konzernen organisiert wird, können sie entweder ihre Gewinne so verschieben, dass sie kaum Steuern zahlen müssen oder sie drohen Staaten damit, in andere Länder abzuwandern, wenn sie etwa durch einen starken sozialen Schutz die Profite gefährden.
Gleichzeitig wurde das aufgebaute Industriekapital zunehmend entweder in den Dienstleistungssektor investiert oder auf dem Finanzmarkt angelegt. Nicht nur wechseln Unternehmen immer häufiger das Land, in dem sie produzieren, sondern Beschäftigte wechseln immer häufiger den Betrieb, für den sie arbeiten. Diese Entwicklung brachte natürlich Gewinner und Verlierer mit sich. Für gut ausgebildete Arbeitskräfte konnten diese Veränderung auch einen sozialen Aufstieg bedeuten. Die Arbeiterbewegung stand vor einer schwierigen Wahl, entschied sich aber allzu oft dazu, mit den Globalisierungsgewinnern gemeinsam, weiter Flexibilisierung, Globalisierung und Prekarisierung zu betreiben, anstatt die Interessenvertretung der Globalisierungsverlierer zu bleiben.
Wer ist heute noch eine Arbeiterin?
In der Nachkriegszeit führten die Verbundenheit zu den eigenen Kolleg*innen im Unternehmen und eine starke gewerkschaftliche Organisation in den Betrieben dazu, dass sich arbeitende Menschen auch als Arbeiter*innen verstanden. Allerdings arbeiten immer weniger in so einer Form von Großbetrieben. Homeoffice und prekäre Arbeitsbedingungen, wie geringfügige oder befristete Beschäftigungen führen dazu, dass dieser Bezug - und damit das Klassenbewusstsein - immer weiter verloren geht.
Damit ist auch die Frage verbunden, wie in Zukunft politische Organisation funktionieren kann. Es gibt viele, die in der Globalisierung und der Prekarisierung einen unaufhaltbaren, natürlichen Prozess sehen. Die politische Arbeit müsse also genauso wie die Arbeitswelt immer flexibler werden. Arbeiter*innen im klassischen Sinne gäbe es ja ohnehin nicht mehr so oft. Die Veränderungen, die derzeit passieren, werden zu einer weltoffenen Verbesserung verklärt. Sie sollen eigentlich sogar bewusst forciert werden.
Das Gegenteil ist der Fall: Hinter der neu gewonnen “Flexibilität” verstecken sich meistens extrem prekäre Arbeitsverhältnisse. Heute braucht es also mehr denn je einen Kampf um gute Arbeitsbedingungen. Dafür ist es nötig, Menschen in ihrer Lebensrealität, also am Arbeitsplatz, in der Schule oder am Wohnort, zu organisieren. Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, dass immer dort wo sich Menschen zusammenschließen, sie große Verbesserungen bewirken können. Eine gerechtere Welt ist möglich!
Text: Fabian Zickler