Körper unter Kontrolle – Reproduktive Rechte zwischen Fortschritt und Backlash

Erst im September 2025 startete die frauen*feindliche Demonstation des „Marsch fürs Leben“ eine weitere Störaktion vor medizinischen Einrichtungen, bei der sich über 40 Tage Aktivist:innen versammeln sollten, um gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu demonstrieren. Zahlreiche Störaktionen linker Aktivist:innen hielten dagegen, sodass die Aktion zumindest zeitweise nicht stattfinden konnte.

Dass diese Art von frauen*feindlichem Aktivismus keinen Einzelfall darstellt, liegt wohl auf der Hand. Viel zu oft wird doch medial von den großflächigen Angriffen auf Reproduktive Rechte und damit auf die Gesundheit von Frauen berichtet – sei es in den USA, Polen oder auch in Österreich. Und auch wenn uns diese Nachrichten zunehmend Angst machen, und uns die Situation vermehrt aussichtslos erscheint, so müssen wir uns immer mehr ins Gedächtnis rufen, dass diese Rückschritte nicht das Werk einzelner Regierungen – so konservativ sie auch sein mögen – sondern das Resultat patriarchaler Strukturen sind, die es strukturell zu bekämpfen gilt.

 

Reproduktive Rechte im Backlash

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, Roe v. Wade 2022 aufzuheben, führte vor allem dazu, dass liberale Feminist:innen dem Thema vermehrt Aufmerksamkeit schenkten. Doch spätestens seit der erneuten Präsidentschaft Donald Trumps ist auch diesen Kreisen klar: Der Angriff auf das Recht auf Abtreibung war kein isoliertes Ereignis, sondern Teil einer globalen Gegenbewegung. In mehreren US-Bundesstaaten sind Schwangerschaftsabbrüche mittlerweile nahezu unmöglich – vor allem für marginalisierte Gruppen. Wer es sich leisten kann, reist in liberalere Staaten; wer nicht, bleibt zurück – mit allen Risiken.

Doch die USA sind kein Einzelfall. Der Blick ins Nachbarland Ungarn zeigt einmal mehr, dass es in der Debatte nicht einzig um das individuelle Recht auf den eigenen Körper geht, sondern um gesellschaftliche Geschlechterordnungen, die für ein kapitalistisches System essenziell sind, um es am Leben zu halten. Nicht nur wird dort von der autoritären Regierung Orbán’s sukzessive das Recht auf Schwangerschaftsabbruch eingeschränkt (wenngleich Ungarn bis dato liberalere Abtreibungsgesetze hatte), die radikal-konservative Familienpolitik zielt weiter darauf ab, ein möglichst „traditionelles“ Familienbild zu fördern und jegliche Abweichung davon abzustrafen. So beschloss die FIDESZ-Regierung erst im April 2025 steuerliche Vorteile für Familien mit mehreren Kindern – sofern die Kinderbetreuung einzig von der Familie übernommen wird.

Und während in Ungarn der autoritäre Nationalismus längst Realität ist, träumen radikal-konservative Kräfte in Österreich von ähnlichen Modellen – nicht nur in Bezug auf Schwangerschaftsabbruch. Im Zuge der Koalitionsverhandlungen nach den Landtagswahlen in Salzburg wurde ein erschreckend ähnliches Konstrukt von der Schwarz-Blauen Landesregierung etabliert – die Herdprämie. Diese besagt ebenso, dass Familien, die Kinderbetreuung privat organisieren (was im Übrigen fast immer bedeutet, dass eine Mutter auf Teilzeit reduziert), staatlich gefördert werden. Salzburg hat eine enorm niedrige Anzahl an öffentlichen Kindergärten – hier den finanziellen Fokus auf das Reproduzieren von unterdrückenden Geschlechterrollen zu legen, ist also eine bewusste politische Entscheidung, die einmal mehr die Reproduktiven Rechte von Frauen einschränkt.

 

Globale Fortschritte – Kämpfe von unten

Einige Beispiele, die im öffentlichen Diskurs zu dieser Thematik leider oft übersehen werden, zeigen jedoch, dass der globale Angriff auf Reproduktive Rechte nicht einheitlich gedacht werden kann.

Am Beispiel Mosambiks lässt sich so erkennen, dass Fortschritte im Bereich Reproduktiver Rechte genau dann erzielt werden, wenn die konkreten materiellen Bedingungen einer Gesellschaft miteinbezogen werden. Als das Land 2014 eines der liberalsten Abtreibungsgesetze Afrikas einführte, war das weniger Ausdruck eines moralischen Wertewandels, sondern ein politökonomischer Entscheid: Unsichere Abbrüche verursachten immense gesundheitliche und soziale Kosten, trafen besonders arme Frauen und schwächten damit auch die gesellschaftliche Reproduktionsfähigkeit. Der Staat reagierte also nicht nur aus Prinzip, sondern aus Notwendigkeit.

Reproduktive Rechte wurden hier nicht als abstrakte Freiheitsrechte, sondern als Teil der sozialen Infrastruktur gedacht. Die staatliche Finanzierung sexueller und reproduktiver Gesundheit entstand, weil klar war, dass ohne öffentliche Versorgung gesellschaftliche Stabilität kaum langfristig gesichert werden könnte. Auch die Rolle der Zivilgesellschaft darf hierbei nicht ignoriert werden, Diese füllt Lücken, die durch fehlende medizinische Infrastruktur und ungleiche globale Ressourcenverteilung entstanden sind. Dass seit der Reform unsichere Abbrüche zurückgegangen sind, ist also kein Wunder, sondern die logische Folge von Investitionen in reproduktive Gesundheit und in lokale Strukturen.

Damit wird klar: Mosambik ist kein „positiver Ausreißer“, sondern ein Beispiel dafür, dass reproduktive Rechte sich dort durchsetzen, wo sie materiell unterfüttert sind. Ein Beispiel dafür, dass Fortschritt keine logische Konsequenz liberaler Demokratien ist, sondern ein Ergebnis politischer Entscheidungen, Gesundheitsinvestitionen und kollektiver Kämpfe. Und ein Beispiel dafür, dass selbst unter Bedingungen globaler neoliberaler Angriffe progressive Reformen möglich sein können, sofern sie sich an den realen Lebensumständen der Bevölkerung, und nicht an moralischen Debatten orientieren.

 

Reproduktive Rechte – ein ewiges Kampffeld?

Reproduktive Rechte waren nie eine Frage moralischer oder politischer Natur. Sie sind ein Spiegel ökonomischer Interessen – und damit Teil der kapitalistischen Ordnung selbst.

Die zentrale Erkenntnis bleibt daher nach wie vor: Reproduktive Rechte sind nicht garantiert. Sie sind nie einfach „gewonnen“; sie können jederzeit eingeschränkt werden. Gerade deshalb müssen wir reproduktive Rechte nicht als moralische Debatte führen, sondern als Strukturfrage, als Machtfrage, als Klassenfrage, und als fortlaufenden Kampf. Fortschritt ist und bleibt möglich. Aber er bleibt brüchig, solange die materiellen Bedingungen nicht mitverändert werden. Die Aufgabe besteht also nicht nur darin, Rechte zu verteidigen, sondern die Verhältnisse, die diese Rechte ständig bedrohen, infrage zu stellen.

Text: Lina Ehrich