Pudding mit Gabel - Können wir uns Gemeinschaft noch leisten?

Laut OECD-Studie verbringen Jugendliche immer weniger Zeit mit Freund*innen. Fehlendes Geld und digitale Gewohnheiten treiben sie ins Netz. Ein absurder TikTok-Trend mit Pudding und Gabeln brachte sie für einen Moment zurück ins echte Leben.

SJÖ

Beim TikTok-Trend “Pudding-mit-Gabel” verabreden sich Jugendliche, um einander an einem öffentlichen Ort zu treffen, gemeinsam Pudding mit Gabel zu essen und sich untereinander auszutauschen.

 

Graue Wolken hängen über Wien. Lautes Gelächter und Gesprächsfetzen schallen der 20-jährigen Kunstgeschichte-Studentin Hannah H. entgegen, als sie den Burggarten betritt. Hunderte von Menschen haben sich auf der Wiese versammelt, die milden Temperaturen stören sie nicht. In mehreren Kreisen sitzen die Leute auf dem Gras, die Hände voll mit den gleichen Gegenständen, die nun auch Hannah H. aus ihrer Tasche holt: Pudding und Gabel.

Ursprünglich kam die Idee aus Karlsruhe, Deutschland. Über die Plattform TikTok schaffte es der Trend auch nach Österreich. Am 28. September 2025 fand das erste von insgesamt vier Pudding-mit-Gabel-Events in Wien statt. Lilli, auf TikTok heißt sie lilli.bkb, initiierte es. Ihr TikTok-Beitrag hat mittlerweile über 100.000 Aufrufe. Rund 1.500 Personen wären zu der Veranstaltung gekommen. “Wir haben schon damit gerechnet, dass ein paar Leute kommen, aber nicht so viele”, erzählt sie im Interview mit Radio Wien Heute.

Ein tieferer Sinn stecke hinter dem Event nicht - und so ist es genau dieser Nonsens-Humor, der die jungen Massen anzieht und aus ihren vier Wänden lockt.

 

Virtuell verbunden, real getrennt

Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, nimmt der In-Person-Kontakt mit Familie und Freund*innen stetig ab, der Online-Kontakt hingegen steigt konstant. Eine Entwicklung, die das allgemeine Wohlbefinden benachteiligen kann, argumentieren manche Forscher*innen. Jugendliche würden dazu tendieren, sich aus der Außenwelt zurückzuziehen, und stattdessen mehr Zeit im Internet verbringen, was Einsamkeit begünstige.

Besonders bei Personen mit Migrationshintergrund ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie sich aufgrund fehlender Unterstützung in der realen Welt in die Online-Welt zurückziehen. Kulturelle Unterschiede, sprachliche Barrieren und damit einhergehende Diskriminierung sorgen für verstärkte Gefühle von Nicht-Dazugehörigkeit und Einsamkeit, so die Studie der OECD.

Die “Pudding-mit-Gabel-Essen”-Veranstaltungen setzten hier einen Gegentrend: Egal wer man ist, wie alt man ist oder woher man kommt: Sobald man einen Pudding und eine Gabel dabei hatte, gehörte man dazu.

 

Von Nonsens zu echtem Miteinander

Mehrmals klopfen sie im Takt mit der Gabel auf ihren Pudding. Es geht ein Raunen durch die Menge und die Menschen öffnen feierlich ihre Pudding-Verpackungen. “Menschen im Studierenden-Alter, aber auch 15-Jährige sitzen auf Decken oder Jacken, in Gruppen und sehr nah beieinander in der Wiese und gabeln ihren Pudding,” beschreibt Hannah H. das Ereignis. Irgendwann habe sich auch eine Gruppe gebildet und gemeinsam getanzt.

Die 20-Jährige hat den Trend bereits im Sommer über Social Media mitbekommen. Als sie bemerkt hatte, dass jemand ein ähnliches Treffen in Wien plante, hatte sie sich den Termin sofort im Kalender notiert. Gemeinsam mit einer Freundin ging sie zum Pudding-mit-Gabel-Event im Burggarten

Hannah H. ginge davon aus, dass das Event aufgrund seiner “leichten Absurdität" und mit seinen niederschwelligen Anforderungen eine Vielzahl von Menschen anlocken würde. Ebenso sorge der öffentliche Schauplatz - in diesem Fall der Burggarten - dafür, dass jede Person an dem Event teilnehmen könne - egal wie viel oder wenig Geld ihr für Freizeitangebote zur Verfügung stehe. Immerhin brauche man nur einen Pudding und eine Gabel - “und jeder mag Pudding”, ergänzt Hannah H.

 

Wie teuer darf Gemeinschaft sein?

Aufgrund der Teuerungskrise sind besonders junge Menschen, die häufig ein geringes oder gar kein Einkommen haben, von sozialer Isolation betroffen. Die meisten können sich einen Kinobesuch, einen Barbesuch oder ähnliches nicht mehr leisten, zeigt eine Caritas-Umfrage. Auch wenn sie über das Internet jederzeit Kontakt mit ihren Freund*innen aufnehmen können, ist es nicht das Gleiche wie Kontakte in der offline Welt zu treffen.

Laut der OECD brauche es mehr Schauplätze, die für alle Personen und jederzeit erreichbar wären, um soziale Interaktionen und Teilhabe zu fördern sowie gegen Einsamkeit anzukämpfen. Als Beispiele nennt die Studie Spielplätze, Büchereien, Parks und Gemeinschaftsräume - Orte, die von jeglichem Konsumzwang befreit sind und fernab der Profitlogik existieren.

In Wien gäbe es zu wenige Orte, an denen junge Menschen ungezwungen Zeit verbringen können, wenn der öffentliche Raum nicht benutzbar ist, findet Lena Stern, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Wien (SJ Wien). In ganz Wien treffen sich Aktivist*innen der einzelnen Bezirke rund einmal pro Woche. Genau solche Räume bräuchten junge Menschen laut Stern: “Wo sie sich treffen, austauschen oder einfach chillen können, unabhängig davon, wie viel Geld sie haben. Vor allem im Winter, wenn der öffentliche Raum zu kalt wird."

 

Wenn der Hype vergeht…

Die Pudding-Verpackung ist mittlerweile leer, nur das Etikett lässt wissen, ob Hanna Vanille- oder Bananen-Pudding gegessen hat. Die Wiese im Burggarten lichtet sich, die Menschen gehen nachhause. Die Sonne versteckt sich hinter den Gebäuden und es wird kälter.

Der Winter rückt näher und mit ihm die Frage: Wo können junge Menschen, ohne sich dem Konsumzwang unterwerfen zu müssen, zusammenkommen und sich austauschen?

Hannah H. zeigte sich zuerst zuversichtlich, dass die Pudding-mit-Gabel-Treffen auch in der kalten Jahreszeit bestehen würden - stattdessen mit heißem Kakao und Löffel. Wie ist ihre Meinung jetzt, wo es keine weiteren Termine mehr gibt? “Ich weiß nicht genau, ob man so etwas in der Art wirklich vorhersagen kann”, erklärt die 20-Jährige, “aber ich finde, es sollte unbedingt weiterhin stattfinden!”

 

… das Problem aber bleibt

Das Bedürfnis nach Events im öffentlichen Raum, ohne Konsumpflicht oder Eintrittspreis, sei laut Hannah H. groß, das habe man an den Pudding-mit-Gabel-Events gemerkt. Dementsprechend fände sie es wichtig, dass es mehr konsumfreie Räume gäbe, wo sich Jugendliche unabhängig von der Jahreszeit und fernab von Vorurteilen treffen könnten.

Die Sozialistische Jugend Wien sehe hier ihre Rolle: Mit den Bezirkslokalen gebe sie jungen Menschen einen Raum, in dem sie zusammenkommen und ihren Ideen, Sorgen und Ängsten Gehör verschaffen können. “Diese Räume sind Orte des gemeinsamen Gestaltens - wo wir selbst entscheiden, was wir dort machen - aber auch des politischen Aktivismus", erklärt Stern.

Mit ihren Räumlichkeiten habe die Sozialistische Jugend Wien die Möglichkeit, jungen Menschen einen Raum zu geben, um gemeinsam für eine bessere Zukunft, fernab des Konsumzwangs, zu kämpfen. “Und einen Ort zu haben, in dem wir unsere Ideen umsetzen können”, ergänzt die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Wien.

 

Text & Grafik © Sanna Hätönen